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Wir wußten, dass wir in ein Vernichtungslager verschoben werden. Wieviel kann eine Mutter mit zwei Kindern verkraften?

Alice Salmon an eine Jugendfreundin in St. Ingbert

Krankheiten

Die Deportation nach Gurs am 22. Oktober 1940 bedeutete für die verschleppten älteren Menschen aus Baden, der Pfalz und dem Saarland nichts weniger als ein Todesurteil. Man hatte sie von einer Stunde auf die andere ihres gewohnten Umfeldes beraubt, das – so feindlich es auch zu diesem Zeitpunkt war – ihr Zuhause gewesen war. Der plötzliche Aufbruch und die damit verbundenen Umstände, die zwei Tage dauernde Fahrt in Viehwaggons, die Ankunft am rund zehn Kilometer von Gurs entfernten Bahnhof in Oloron sowie der Transport auf Lastwagen ins Lager bedeuteten für die Menschen ungeheure Strapazen. 

Sie kamen in ein Barackenlager, in dem sie auf dem Boden schlafen mussten, weil es keine Betten gab. Dann setzte der Regen ein und machte den schlammigen Boden unpassierbar. Das stellte die durch die Ereignisse der vergangenen Tage bereits traumatisierten Menschen vor neue Schwierigkeiten. Denn der Weg zu den weit entfernt liegenden Latrinen, die als Hochsitz konstruiert waren, führte meist durch Morast, in dem jeder Schritt Kraft kostete. Auch gab es nach der Ankunft der über 6.500 Menschen im Lager nicht ausreichend Essen für die Internierten. Diese trostlose Situation wurde dadurch verstärkt, dass deportierte Ehepaare auseinandergerissen wurden, da die Internierten nach Geschlechtern getrennt untergebracht waren.    

Hunger, Kälte, Krankheiten, Tod – in dieser Folge erlagen im November und Dezember 1940 im Lager Gurs 468 Menschen. Im Schnitt starben acht Menschen am Tag. Es waren per se keine schweren Krankheiten. Jedoch brachten Blasenentzündungen, Bronchitis und unversorgte Schnittwunden, die zu Blutvergiftungen führten, ohne ärztliche Versorgung und die Gabe von Medikamenten den Tod. Dabei wäre die häufig im Lager auftretende Ruhr, die auch „Lagerkrankheit“ genannt wurde, durch die Gabe von Kakao, Haferflocken oder Reis zu kurieren gewesen. In Komnination mit altersbedingten Krankheiten wie Diabetes oder Herzschwäche wuchs sie jedoch zu einer tödlichen Erkrankung aus. 

Bereits am 31. Oktober 1940 starb der 85 Jahre alte Samuel Weiler aus Nalbach in Gurs. Hermann Kahn aus Nalbach starb am 14. November 1940. Hermann Weil am 29. November 1940. Rosa Salmon aus Homburg, deren Sohn mit seiner Familie emigrieren konnte, starb am 4. Dezember 1940, zwei Tage danach war auch Rosa Hanau aus Siersburg tot. Klara Hanau aus Merzig-Brotdorf verschied am 31. Dezember 1940. Josef Kahn, der mit 88 Jahren der Älteste unter den Deportierten war, starb am 2. Januar 1941. 

Als die Hilfsorganisationen wenige Wochen nach Ankunft der Menschen aus Baden, der Pfalz und dem Saarland mit der Versorgung mit Nahrung im Lager begannen, war es für viele der älteren Internierten bereits zu spät. Auch die Verlegung in die für Ältere und Kranke genutzten Lager Récébédou oder Noé ab dem Frühjahr 1941 verbesserten deren Lebensumstände nicht. Auch dort verstarben aus dem Saarland deportierte ältere Menschen in den Jahren 1941 und 1942. Insgesamt fanden 30 der am 22. Oktober 1940 aus dem Saarland deportierten Jüdinnen und Juden in Gurs und in den anderen Lagern in Südfrankreich den Tod. 

Diejenigen, die aus den Lagern zurückkehrten, trugen bleibende Schäden davon. Susanna Felsenthal hatte sich aufgrund einer auf Mangelernährung zurückzuführenden Kreislaufschwäche den Arm gebrochen und war seitdem körperlich stark eingeschränkt. Ihr Antrag auf Entschädigung dieses gesundheitlichen Schadens nach Kriegsende wurde mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass es sich um eine altersbedingte Erkrankung handele. Auch der Antrag der Eltern der 1958 im Alter von 38 Jahren an Lungentuberkulose verstorbenen Else Heiser auf Entschädigung für Schaden an der Gesundheit wurde abgelehnt. Else Heiser war 1935 mit 15 Jahren mit ihren Eltern vor rassischer Verfolgung nach Frankreich geflohen. Von Mai bis Juli 1940 war sie in Gurs und zog sich dort die Lungenkrankheit zu. 

Anna Dukat aus Saarbrücken, die 1935 nach Paris emigriert war, wurde im Sommer 1940 in Gurs interniert. Ein in ihrer Landesentschädigungsakte erhaltenes Attest eines im Lager tätigen Arztes empfiehlt ihre Freilassung, damit sie sich in Paris einer Operation unterziehen kann. Ob dies der Fall war, ist nicht bekannt. 

Hilfe wurde hingegen Lucie Brosette aus Rehlingen zuteil. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes wurde sie im September 1940 mit ihrem Sohn vom Roten Kreuz aus Gurs in ein Hospital bei Bordeaux verlegt. 

Der als Prestatär eingesetzte Nikolaus Altmaier konnte mit einem in Gurs ausgestellten Impfausweis seine Internierung belegen. Das Dokument bezeugt zugleich, dass es eine ärztliche Versorgung im Lager gab. 

Der ebenfalls vor politischer Verfolgung aus dem Saarland geflohene Gustav Jakob Schneider wurde von Gurs in das ehemalige Sanatorium La Guiche gebracht, in das die an der Lunge erkrankten Internierten verlegt wurden. Jedoch war auch dort die Versorgung ungenügend. Er ist dort verstorben. 

In Gurs und in anderen Lagern verstorbene saarländische Jüdinnen und Juden, die am 22. Oktober 1940 deportierten worden waren: 

Im Lager Gurs verstarben
Emma August, 17.05.1885, Illingen – 04.01.1941 
Fanny Günsburger, 07.03.1863, Neunkirchen/Saar – 30.01.1942
Klara/Sara Hanau, 22.09.1867, Brotdorf – 31.12.1940
Rosa Hanau, 17.06.1875, Siersburg – 06.12.1940
Alexander Hirsch, 17.04.1870, Homburg – 28.11.1941
Hermann Kahn, 28.09.1864, Nalbach – 14.11.1940
Josef Kahn, 15.09.1852, Brotdorf – 02.01.1941
Arthur Levy, 15.04.1875, Illingen – 10.02.1941
Moritz Moses, 10.04.1882, Illingen – 27.01.1942
Rosa Salmon, 10.08.1867, Homburg/Saar – 04.12.1940
Johanna Troispieds, 15.09.1860, Siersburg – 06.12.1941
Michel Troispieds, 04.06.1864, Siersburg – 21.12.1942
Karoline Voß, 16.11.1869, Merchweiler – 19.02.1941
Hermann Weil, 25.05.1864, Merzig – 29.11.1940
Samuel Weiler, 28.11.1855, Nalbach – 31.10.1940

Im Lager Rivesaltes verstarben
Karoline Hermann, 18.10.1865, Ottweiler – 03.09.1941
Adolf Kahn, 19.03.1876, Illingen – 28.08.1942
Samuel Nussbaum, 28.04.1896, Differten – 07.071941
Isaak Schwarz, 27.09.1885, Merchweiler – 12.03.1942
Herbert Schwarz, 06.04.1932, Merchweiler – 28.06.1942

Im Lager Noé verstarben
Johanna Levy, 06.06.1878, Illingen – 02.09.1942
Minna Marx, 04.05.1868, Brotdorf – 27.12.1942
Auguste Moses, 07.03.1886, Illingen – 07.10.1942
Jetta Schwarz, 01.08.1877, Saarbrücken – 27.10.1942

Im Lager Récébédou/Toulouse verstarben, beigesetzt in Portet-Saint-Simon  
Rosa Bonn, 18.09.1887, Nalbach – kein Sterbedatum
Julie Frank, 05.02.1860, Merzig – 21.12.1941
Moses Isaak, 11.02.1860, Tholey – 19.02.1942
Karoline Kahn, 25.01.1864, Nalbach – 01.06.1941
Felix Lewy, 12.01.1878, Saarwellingen – 08.06.1942

In Masseube verstarb:
Ottilie Hanau, 24.06.1875, Merzig – kein Sterbedatum
 

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