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Die Geschichte des Lagers Gurs ermöglicht auch – und das bleibt eine Verpflichtung für immer-, eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie es zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Intoleranz und zu undenkbaren Leiden kommen kann.

Robert Badinter, ehemaliger Justizminister Frankreichs

Die “Wagner-Bürckel-Aktion”

Vorgeschichte

Die Deportationen der jüdischen Bürger*innen aus Baden, der Pfalz und dem Saarland nach Gurs am 22. Oktober 1940 standen in Zusammenhang mit der Besetzung von Teilen Frankreichs durch NS-Deutschland im Mai 1940. 

Das Waffenstillstandsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich sah vor, dass Elsass und Lothringen von Frankreich abgetrennt wurden. Das Elsass wurde dem Gauleiter Baden, Robert Wagner, und Lothringen dem Gauleiter Saarpfalz, Josef Bürckel, zugeordnet. Am 2. August 1940 wurde Bürckel von Reichskanzler Adolf Hitler zum „Chef der Zivilverwaltung“ (CdZ) in Lothringen und Wagner in derselben Funktion in Baden ernannt, verbunden mit der Aufgabe, die besetzten Gebiete „einzudeutschen.“ Es war nun verboten, Französisch zu sprechen und eine Baskenmütze zu tragen. Doch einschneidender war die von Bürckel und Wagner getroffene Maßnahme, unerwünschte Französ*innen, darunter viele jüdischen Glaubens, in die unbesetzte Zone Frankreichs abzuschieben. Bis Mitte September 1940 waren bereits über 23.000 Menschen ausgewiesen worden.

Nach einem Treffen von Wagner und Bürckel mit Hitler am 25. September 1940 in Berlin bekamen sie die Anordnung, die Gaue mit allen Mitteln „rein deutsch“ zu machen. Ein erster Schritt in diesem Zusammenhang war, die Jüdinnen und Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland abzuschieben, wie sie es bereits mit den unerwünschten Elsässer*innen und Lothringer*innen getan hatten.

Obwohl nur wenige Dokumente, die sich auf die Vorbereitungen der Deportationen am 22. Oktober 1940 beziehen, vorliegen, bezeugen diese die Rücksichtslosigkeit und Härte des Vorgehens gegen die meist älteren Menschen, die ihr Leben lang in Dörfern und Städten des Landes gelebt hatten, so wie ihre Eltern, Großeltern und Urgroßeltern vor ihnen.   

Die Tage vor dem 22. Oktober 1940

Die Ausweisungsbefehle für die Saarpfalz waren von Gauleiter Bürckel in Metz unterzeichnet worden und sind auf den 20. Oktober 1940 datiert. 

Josef Bürckel, geboren am 30. März 1895 im pfälzischen Lingenfeld, war Anfang August 1940 aus Wien zurückgekehrt, wo er ab dem 13. März 1938 als „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich“ fungiert und dort am 20. August 1938 die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ gegründet hatte. (In dieser Zentralstelle hat auch der für die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden verantwortliche Adolf Eichmann gearbeitet.) Am 8. April 1940 erfolgte die Zusammenlegung der bayrischen Pfalz mit dem Saarland zum Gau Saarpfalz. Bürckel – zum 5. März 1940 war seine Tätigkeit in Wien beendet – wurde zum „Reichskommissar für die Saarpfalz“ ernannt. 

Gab es zu der als „Evakuierung“ bezeichneten Deportation vom 22. Oktober 1940 kaum offizielle Verlautbarungen, so schuf die mediale Berichterstattung der NSZ-Rheinfront und der NAZ-Neue Abendzeitung eine aggressive und feindliche Atmosphäre in den Oktobertagen 1940. Es wurde bereits am 3. Oktober über das von der Vichy-Regierung am 4. Oktober 1940 verabschiedete „Statut des Juifs“ berichtet. Dieses Statut sah unter anderem die Internierung von in Frankreich lebenden Jüdinnen und Juden vor. Auch die Aufführung des NS-Propagandafilms „Jud Süß“ in saarländischen Kinos – so am 15. Oktober 1940 in Saarbrücken und in St. Wendel, wo es Extravorstellungen gab, wie ein in St. Wendel erschienener Zeitungsartikel vom 19. Oktober vermerkte – heizte die Stimmung gegen die Jüdinnen und Juden im Saarland an.

Der 22. Oktober 1940

Erhalten hat sich das „Merkblatt für eingesetzte Beamte, die bei der Deportation der pfälzischen Juden eingesetzt werden“. Es enthält insgesamt 13 Punkte, die vorgeben, wie Menschen ihres Besitzes und ihrer Rechte beraubt werden sollen und wie sie für die sogenannte „Evakuierung“ zu behandeln waren. 
Es blieben den betroffenen Menschen 50 Kilogramm Gepäck, 100 Reichsmark und eine Wolldecke. Das sollte in kurzer Zeit vor sich gehen, so die Vorschrift:

„Sie eröffnen ihnen alsdann, dass sie festgenommen sind, um abgeschoben zu werden, wobei darauf hinzuweisen ist, dass sie in zwei Stunden abmarschbereit sein müssen.“

Wertgegenstände, Bargeld und der Wohnungsschlüssel waren den Beamt*innen zu übergeben. Mit Omnibussen wurden die Menschen aus den Dörfern und Städten nach Saarbrücken gebracht.  

Punkt 13 des Merkblattes sah vor, jedes Aufsehen zu vermeiden: 

„Es ist unbedingt erforderlich, dass die Juden bei der Festnahme korrekt behandelt werden. Ausschreitungen sind auf jeden Fall zu verhindern.“

Es ging nicht still und unbemerkt vor sich. Die Pianistin und Modistin Bella Berl aus Merzig war auf das Dach ihres Wohnhauses geklettert und widersetzte sich ihrer Festnahme, wovon Gustav Regler berichtet. Doch sie entging ihrer Festnahme nicht, nachdem Verstärkung geholt worden war. 

Verhaftet wurde auch Anna Augustin, zweite Ehefrau des verwitweten Tuchgroßhändler Eugen Heymann, in deren Wohnung in der Sophienstraße in Saarbrücken. Als Katholikin hätte sie nicht ausgewiesen werden dürfen, daher gelang es ihr mit Hilfe eines Rechtsanwaltes, Ende Dezember aus dem Lager Gurs entlassen zu werden und nach einem Aufenthalt in einem jüdischen Asyl in der Rue de Lamarque in Paris ein Jahr nach ihrer Deportation nach Saarbrücken zurückzukehren. Sie berichtet in ihrem Antrag auf Entschädigung (Saarländisches Landesarchiv LEA 11023) von der Festnahme: 

„Am 22. Oktober 1940 wurde ich mit meinem Mann durch die Gestapo verhaftet und ausgewiesen. Um 10 Uhr wurden wir nach dem Schlossplatz mittels Auto abtransportiert, wurden dem Notar Portz vorgeführt, um zu unterschreiben, dass wir unser Haus nach Berlin abgeben, und wurden gegen Mittag mit vielen anderen Juden in ein Schulhaus nach Forbach transportiert, wo wir nochmals nach Schmuck und Wertsachen untersucht wurden. Nachmittags gegen 17 Uhr wurden wir mittels eines (Ext)razuges, welcher 3 Tage unterwegs war, nach GUERS (Pyrrenäen) [sic!] abtransportiert. Dort war ich etwa 2 ½ Monate inhaftiert. Von Gurs kam ich Ende Dezember 1940 nach Paris, 16 rue de la marc [sic!], wo ich dann am 22. Oktober 1941 entlassen wurde.“

134 Menschen aus dem ganzen Saarland wurden um ihren Besitz gebracht und aus ihren Wohnungen geholt. Auf dem Saarbrücker Schlossplatz wurden sie versammelt und von dort um die Mittagszeit mit Omnibussen von Saarbrücken nach Forbach gebracht. Dort kamen zwei Züge aus der Pfalz an, in die man die Menschen aus dem Saarland zwang. In Dijon wurden die beiden Züge mit den sieben aus Baden kommenden Zügen verbunden. In Chalon-sur-Saone passierten die Züge die Demarkationslinie ins unbesetzte, der Regierung Petain unterstellte Frankreich. Dort war auch Adolf Eichmann zugegen, der den Transport mitorganisiert hatte. Die Züge waren offiziell als „Wehrmachtstranporte“ angekündigt und stellten die getäuschten französischen Behörden vor vollendete Tatsachen. Da die Züge nicht mehr zurückgeschickt werden konnten, suchte die französische Regierung einen Ort, den sie mit dem Lager Gurs fand.

Der 25. Oktober 1940

Am 25. Oktober erreichten die Züge den Bahnhof von Oloron-Sainte-Marie, 13 Kilometer von Gurs entfernt. Vom Bahnhof in Oloron-Sainte-Marie wurden die von dem Transport erschöpften Menschen auf Lastwagen in das Lager gebracht. Dort erwarteten sie nur mit einer Fensterluke versehene Baracken mit Strohsäcken auf blankem Bretterboden, löchrigen Wänden und einem kleinen Ofen, der kaum Wärme abgab. Es waren ursprünglich für Soldaten errichtete Provisorien, die nicht für einen dauerhaften Verbleib gedacht waren. 
 
Doch genau dazu dienten die 382 Baracken für die 6.500 Menschen aus Baden, der Pfalz und dem Saarland. Die Baracken waren zu 13 Ilots (französisch: Inseln) zusammengefasst. Eine Insel bestand aus 25-27 Baracken. Frauen und Männer waren darin getrennt voneinander untergebracht. Neun Ilots waren Männern vorbehalten, vier den Frauen. Bis zu 50 Menschen lebten in einer Baracke. Eine zwei Kilometer lange Straße durchzog das Lager. Links und rechts davon zogen sich in langen Reihen die Unterkünfte, gerade einmal 2,50 Meter hoch. Es waren düstere Verschläge, aus denen es kein Entkommen gab. Der Regen, der in diesen Tagen reichlich gefallen war, hatte den Boden aufgeweicht und unpassierbar gemacht. Gurs erwies sich als Endpunkt des Lebens, wie es die hierher verschleppten Menschen einmal gekannt hatten.

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