Robert Badinter, ehemaliger Justizminister Frankreichs
30. Januar
Machtübergabe an die Nationalsozialist*innen im Reichstag. Beginn der Umwandlung der parlamentarischen Demokratie in eine nach dem Führerprinzip organisierte Diktatur.
Mit der Machtübergabe wird der Terror zur Staatsräson. Er richtet sich gegen diejenigen, die von dem NS-Regime als Gegner*innen der sogenannten „Volksgemeinschaft“ ausgemacht worden waren. Die damit einsetzende Verfolgung und Ausgrenzung zwingt Regimegegner*innen zur Flucht. Laut historischer Quellen flüchten zwischen 5.000 und 7.000 Menschen aus dem Deutschen Reich Richtung Westen.
7. Februar
Der Völkerbund widersetzt sich der Forderung des Dritten Reichs und der Deutschen Front im Saargebiet, die aus politischen Gründen Geflüchteten auszuweisen. Daraufhin erlässt der Völkerbund eine Verordnung. Sie stellt diejenigen unter Schutz, die aus „politischen oder kulturellen Gründen ihren Heimatstaat verlassen mussten“.
4. Juli
Sozialdemokrat*innen und Kommunist*innen schließen sich zur "Einheitsfront" gegen den Anschluss des Saarlandes an Deutschland zusammen. Auch Katholik*innen unter Johannes Hoffmann schließen sich dem Bündnis an. Alle Gruppen hoffen, die Herrschaft der Nationalsozialist*innen an der Saar verhindern zu können.
13. Januar
90,8 Prozent der Wahlberechtigten stimmen für die Rückgliederung des Saargebiets an Deutschland.
Politisch Verfolgte (Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen, Gewerkschafter*innen), die nach 1933 an die Saar geflüchtet und Status-quo-Befürworter*innen waren, flüchten nach Bekanntgabe des Ergebnisses am 15. Januar über die Grenze nach Lothringen.
Die nach dem 15. Januar nach Frankreich geflohenen Menschen finden Unterkunft in den Centres d'Herbergement hinter der französischen Grenze, etwa in Forbach oder Teterchen. Die aus NS-Deutschland an die Saar geflohenen Emigrant*innen werden in einem Sammellager in Straßburg zusammengefasst. Bereits Mitte Januar beginnen die Transporte in Auffanglager in Südfrankreich. Das gilt für diejenigen, die ohne Geld nach Frankreich gekommen waren. Wer Angehörige in Frankreich hat oder über Geld verfügt, kann sich seinen Aufenthaltsort frei wählen.
Es ist jedoch verboten, sich in den grenznahen Départements oder in Paris anzusiedeln. Daher werden die Saaremigrant*innen in Lager in der Region Toulouse, Bordeaux, Gap, Blaye, Camarès, Carcassonne, St. Sulpice, Castres, Libourne, St. Gaudens, Tarbès, Muret und Villefranche-de-Lauraguais gebracht. Die dem Völkerbundsrat wenige Wochen nach der Abstimmung vorgelegten Zahlen sprechen von 3.300 nach Frankreich geflohenen Saareinwohner*. Dazu kommen rund 800 Emigrant*innen aus Deutschland, die 1933 an die Saar geflohen sind. Diese Zahl entspricht auch den Angaben des Reichskommissars für die Rückgliederung des Saarlandes.
850 Personen kehren ins Saarland zurück. Alle anderen leben im Schnitt ein halbes Jahr in den Auffanglagern in Südfrankreich und siedeln sich im Anschluss daran in der Region an, wo sie Arbeit finden. Andere gehen nach Paris, obwohl dies offiziell verboten ist.
29. Februar
Auslaufen des „Römischen Abkommens“, das den im Saarland lebenden Jüdinnen und Juden Schutz und die sichere Ausreise ohne Verlust ihres Besitzes ermöglicht.
18. Juli
Putsch des nationalistischen spanischen Generals Francisco Franco in Marokko gegen die am 16. Februar gewählte linke Volksfrontregierung in Madrid. Beginn des Spanischen Bürgerkriegs.
26. Juli
Beschluss der Kommunistischen Internationalen (Komintern) die Republikaner in Spanien mit einer Internationalen Brigade zu unterstützen.
26. April
Die von NS-Deutschland zur Unterstützung der Truppen von General Franco nach Spanien gesandte Legion Condor bombardiert die baskische Stadt Guernica.
6.-15. Juli
Konferenz von Évian. Die Konferenz kommt auf Initiative des amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt zustande. Daran nehmen 32 Staaten und 24 Hilfsorganisationen teil. Aufgrund der gestiegenen Anzahl der aus Deutschland und Österreich geflohenen Jüdinnen und Juden soll die Konferenz klären, welche Länder diese Menschen aufnehmen können. Frankreich erklärt bei der Konferenz, dass es nur noch Transitland für Geflüchtete sein wolle. Außer der Dominikanischen Republik bietet keiner der teilnehmenden Staaten die Aufnahme von Geflüchteten an.
9./10. November
Auf Anweisung des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels finden im gesamten Deutschen Reich Gewaltmaßnahmen gegen Jüdinnen und Juden statt. Die Pogromnacht vom 9. November fordert zahlreiche Todesopfer; Synagogen, jüdische Friedhöfe, Geschäfte und Wohnungen werden zerstört.
Die Pogromnacht vom 9. November 1938, bei der überall im Saarland jüdische Einwohner*innen misshandelt, ihre Wohnhäuser und Geschäfte zerstört und die Synagogen in Brand gesetzt werden, sorgt für einen weiteren Rückgang der jüdischen Bevölkerung. Die Volkszählung vom 17. Mai 1939 ergibt, dass noch 494 Menschen jüdischen Glaubens im Saarland leben. Sie waren drangsaliert, terrorisiert und um ihre Existenzen gebracht worden. Jüdische Saarländer*innen lebten vom Groß- und Einzelhandel mit kleinen Läden, führten aber auch große Kaufhäuser in der Saarbrücker Bahnhofstraße. Sie hatten für ein blühendes Geschäftsleben in Saarbrücken gesorgt oder mit Metall-, Vieh- und Getreidehandel ihr Auskommen gefunden. Die jüdischen Bürger*innen, die es sich leisten konnten, hatten das Land verlassen.
(Es bewahrheitet sich, was Rabbiner Dr. Lothar Rothschild, der Amtsnachfolger von Friedrich Rülf in Saarbrücken, nach der Abstimmung vom 13. Januar 1935 für die saarländischen Jüdinnen und Juden vorausgesehen hatte. Er schrieb in einem Beitrag in der “Wiener Sonn- und Montagszeitung” vom 21. Januar 1935: Bald müsse man denjenigen an der Saar helfen, “die heute […] als Angestellte und Arbeiter von ihrem Gehalt, von der Hand in den Mund leben und die eines Tages, aller Erwerbsmöglichkeiten beraubt, rat- und hilflos auf der Straße stehen werden.”)
Am Ende sind diejenigen im Saarland zurückgeblieben, die sich eine Auswanderung nicht leisten wollen, meist aber nicht leisten können. Es sind diejenigen, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs verschleppt werden.
26. Januar
Barcelona fällt an die Truppen von General Franco
10. Februar
Die Truppen von General Franco erobern Katalonien.
Die Eroberung von Barcelona und Katalonien durch die Truppen von General Franco und die damit verbundene Niederlage der Republikanischen Armee führen dazu, dass eine halbe Million Soldaten und Zivilist*innen die Grenze nach Frankreich überschreiten und Zuflucht in den Hochtälern der Pyrenäenregion finden.
15. Februar
353.000 Geflüchtete aus Spanien kommen in die Region Pyrenées-Orientale, in der 230.000 Menschen leben.
20. März
Madrid fällt an die Truppen von General Franco.
2. April
382 Baracken werden nahe des Dorfes Gurs errichtet. Zwischen April und Mai 1939 sind 19.000 aus Spanien geflüchtete Personen im Lager Gurs untergebracht, darunter 6.000 Nicht-Spanier*innen, die sich freiwillig den Internationalen Brigaden angeschlossen hatten. Unter diesen Freiwilligen waren 700 Deutsche.
1. September
Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen. Beginn des Zweiten Weltkriegs und Evakuierung der Bewohner*innen der „Roten Zone“ im Saarland. Räumung eines zehn Kilometer breiten Korridors entlang der französischen Grenze. Dabei wird den meisten der nach Halle und Dessau evakuierten saarländischen Jüdinnen und Juden im Juli 1940 die Rückkehr nicht mehr erlaubt. Sie werden dort interniert und in Forstarbeitslager in der Mark Brandenburg verschleppt. Von dort werden sie nach 1942 in die Vernichtungslager Majdanek und Sobibor verschleppt und ermordet. Dazu auch das Gedenkbuch für die Toten des Holocaust in Halle.
3. September
Kriegserklärung Frankreichs gegenüber Deutschland
8. April
Zusammenlegung der Gaue bayrische Pfalz und Saarland zum Gau Saarpfalz. Gauleiter Josef Bürckel wird zum „Reichskommissar für die Saarpfalz“ ernannt.
10. Mai
Überfall Deutschlands auf Luxemburg, Belgien, die Niederlande und Frankreich
15. Mai
Internierung aller Personen deutscher und österreichischer Herkunft in Paris, unabhängig davon, ob es sich um NS-Verfolgte, Emigrant*innen oder Nationalsozialist*innen handelt. Sie gelten als „Unerwünschte Ausländer“ in Frankreich.
21.-31. Mai
Deportation der im Pariser Radstadion Stade de Velodrome d‘Hiver internierten Frauen nach Gurs. Dort halten sich in diesen Wochen 12.000 Menschen auf.
21. Juni
Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrags zwischen NS-Deutschland und Frankreich. Elsass und Lothringen werden von Frankreich abgetrennt und sind ab dem 2. August 1940 den Gauleitern von Baden und der Saarpfalz unterstellt. Drei Fünftel Frankreichs werden von deutschen Truppen besetzt. Sie werden dem in Paris stationierten Militärbefehlshaber Otto von Stülpnagel unterstellt.
10. Juli
Einsetzung der Regierung von Maréchal Petain mit Sitz in dem Badeort Vichy in dem unbesetzten Gebiet Frankreichs.
16. Juli
3.000 Jüdinnen und Juden aus dem Elsass und Lothringen nach Südfrankreich deportiert
22. Juli
Gesetz über die Revision der Naturalisierung. Das gilt für alle in Emigrant*innen, die nach 1927 die französische Staatsbürgerschaft erhalten haben.
2. August
Ernennung des Gauleiters Saarpfalz, Joseph Bürckel, zum Chef der Zivilverwaltung im besetzten Lothringen.
27. September
Verbot für aus der besetzten Zone geflohene Jüdinnen und Juden zurückzukehren.
Es werden bereits über 23.000 den Gauleitern Bürckel und Wagner missliebige Französ*innen, darunter viele Jüdinnen und Juden, in das unbesetzte Frankreich abgeschoben.
3. Oktober
Einführung des „Statut des Juifs“, des Judenstatuts, im unbesetzten Teil Frankreichs. Das war eine Verordnung für Maßnahmen gegen in Frankreich lebende ausländische sowie französische Jüdinnen und Juden. Diese konnten jederzeit interniert werden. Es war zudem ein Berufsverbotsgesetz im öffentlichen Dienst; freie Berufe stehen Jüdinnen und Juden nur nach Proporz offen. Die Festlegung, wer Jüdin oder Jude ist, erfolgt nach dem Nürnberger Rassegesetzen.
4. Oktober
Einführung des „Gesetzes über die Ausländer jüdischer Rasse“ durch die Vichy-Regierung. Der erste Paragraph legt fest, dass auf Anordnung der Präfekten der jeweiligen Départements, die darin sich ständig aufhaltenden „Ausländer jüdischer Rasse“ in speziellen Lagern interniert werden können. Dieses Recht hatten die Präfekten bislang bereits. Es wird nun um das Kriterium der „jüdischen Rasse“ erweitert.
15. Oktober
Aufführung des antisemitischen Propagandafilms „Jud Süß“ in saarländischen Kinos
15. Oktober
Erlass des badischen Innenministeriums an badische Landratsämter über den Einsatz der Polizei zum Abtransport der Jüdinnen und Juden aus Baden.
20. Oktober
Bürckel unterzeichnet in Metz Ausweisungsbefehle für saarpfälzische Jüdinnen und Juden.
22. Oktober
Deportation von 134 saarländischen Jüdinnen und Juden vom Saarbrücker Schlossplatz über den Bahnhof Forbach sowie über die Bahnstrecke “Metz – Chalon-sur-Saône – Oloron-Sainte-Marie"
24./25. Oktober
Ankunft der Deportationszüge aus Baden, der Pfalz und dem Saarland an Bahnhof von Oloron-Sainte-Marie
30./31. Oktober
3.900 im Lager Saint-Cyprien internierte jüdische Männer aus Belgien werden nach Gurs verlegt
November/Dezember
468 Todesfälle aufgrund der hygienischen Zustände und der mangelhaften Versorgung im Lager Gurs. Im Durchschnitt sterben im Lager acht Menschen an einem Tag.
Januar
Entlassung von Kindern und jugendlichen Internierten auf Initiative von jüdischen, protestantischen und katholischen Hilfsorganisationen und deren Unterbringung in Kinderheimen
April
Verlegungen der Gurs-Internierten in andere Lager in der Südzone, wie z.B. Rivesaltes oder Noé
3. Mai
Verschärfte Meldepflicht für Geflüchtete
21. Juni
Zweites Antijüdisches Statut. Alle Jüdinnen und Juden müssen sich innerhalb eines Monats zur Registrierung melden.
21. November 1941
Arisierungsgesetz in Frankreich trtitt in Kraft.
7. Dezember
Angriff der japanischen Armee auf die US-Pazifikflotte auf dem Stützpunkt Pearl Harbour.
Kriegseintritt der USA. Einreisen von Personen deutscher Abstammung in die USA wird zusätzlich erschwert.
20. Januar
Wannsee-Konferenz zur „Endlösung der Juden-Frage“. Beschluss der Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Europa
27. März
Erste Deportation aus dem Lager Compiègne bei Paris, der besetzten Zone in Frankreich nach Auschwitz
Juni-August
Deportationen nach Auschwitz aus der besetzten Zone Frankreichs
4. Juli
Zustimmung Frankreichs zu den Deportationen aus der unbesetzten Zone
16./17. Juli
Razzien und Internierungen von Jüdinnen und Juden Pariser Radstadion Vélodrome d’Hiver.
Gurs wird zum Sammellager für in der Südzone bei Razzien verhaftete Jüdinnen und Juden.
28. Juli
Pflicht für alle Jüdinnen und Juden in Frankreich, ab dem 6. Lebensjahr einen gelben Davidstern zu tragen.
6. August
Beginn der Deportationen aus der unbesetzten Zone Frankreichs
(siehe dazu die Rubrik Deportationen aus der unbesetzten Zone)
8. September
Waffenstillstandsabkommen mit Italien. Deutsche Besetzung der ehemals von Italien kontrollierten Zone um Nizza. Dorthin können keine Jüdinnen und Juden mehr evakuiert werden.
25. September
Überfall der Résistance und Befreiung des Lagers Gurs
1. November
Vorübergehende Schließung des Lagers Gurs
9. April
Wiedereröffnung des Lagers Gurs und Internierung von Sinti und Roma
5. Juni
Ankunft von vormals im Lager Brens (Tarn) internierten Frauen
6. Juni
Landung der Alliierten in der Normandie
15. August
Landung der Alliierten in der Provence
22./23. August
Befreiung der Region Basses-Pyrénées
26. August
Befreiung von Paris
Ende August
Umbau des Lagers als Haftstätte für deutsche Kriegsgefangene und Kollaborateur*innen
8. Mai
Kapitulation Deutschlands
31. Dezember
Endgültige Schließung des Lagers Gurs. Verlegung der dort internierten deutschen Gefangenen nach Polo de Beyris, einem Stadtteil von Bayonne.